Würde man mich nach meinen bisherigen Erfahrungen mit dem Celebrate-Chor (ich singe seit Anfang dieses Semesters mit) fragen, lautete meine Antwort folgendermaßen: „Ja, die Auftritte machen großen Spaß, man singt muntere Lieder, trägt Krawatte und bewegt sich auf der Bühne. Davor hat man sich warm gemacht, gegenseitig massiert und die umstehenden Leute komplimentiert, wie sie trotz der frühen Morgenstunden in solcher Frische auftreten können, während man sich selbst noch im Reich der Träume wähnt.“ Soweit klingt das nach Choralltag, Bühnenpraxis und Standardkonzerten. Also würde ich fortfahren: „In den Pausen allerdings versucht man Türen aufzubrechen, Codewörter zu entschlüsseln und lungert in dunklen Treppenhäusern herum. Dann tritt man wieder auf, singt muntere Lieder, trägt Krawatte und bewegt sich auf der Bühne.“ Soweit die Kurzversion: Was war passiert?
Um in den Worten des Festredners der Veranstaltung zu sprechen: „Samstag der 12. Mai 2012 Jugendweihe der Klasse 8e der integrativen Gesamtschule der Südstadt in Rostock.“ Mit diesen sperrigen, aber schicksalsträchtigen, ja fatalen Worten erfuhr auch der letzte Teilnehmer, zu welcher Veranstaltung er soeben die Eröffnungslieder gesungen hatte. Und es ging weiter. In einer viertelstündigen Rede erhielten wir – der Chor und vor allem die Jugendzuweihenden und ihre Verwandtschaft – Anleitung und Ratschläge zu einem glücklichen Leben. Während wir diese Worte noch in unseren Herzen bewegten standen wir schon wieder vorne und gaben zwei weitere Stücke zum Besten. Daran schloss sich die Urkundenverleihung an. Jan und Jan (der zweite bin ich) spielten zu dieser Zeremonie zwei Stücke in Endlosschleife mit Klavier und Querflöte. Man nahm wieder die Plätze ein und der Chor trat zu seinem Finale an. Für das Lied I will Celebrate konnten die Jugengeweihten mit auf die Bühne motiviert werden. Zum Ausgang stimmten wir Oh happy day an, wohl wissend, dass nun lediglich der erste Teil des Pensums vollbracht war.
Unter Applaus verließen wir die Bühne um uns in der Halbzeitpause noch letzte Tipps vom Trainer zu holen und vielleicht vom Physiotherapeuten nochmal die Stimmbänder massieren zu lassen. Also hinein in die Katakomben, die Treppe rauf und zur Kabine. Hier begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Erst kam der Sängerzug ins Stocken und mit einem Mal verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Die Kabinentür ist verschlossen. Der Schlüssel muss her, der Schlüssel! Bares Entsetzen kam auf, als bekannt wurde, dass sich selbiger Schlüssel hinter jener Tür befand, wo unsere sämtlichen Wasser- und Schokoladenvorräte zwar sicher, doch vor allem unzugänglich lagerten. Hier konnten die wahren Stärken der Chormannschaft ausgespielt werden. Einige ersannen, auf den Treppenstufen verharrend, Überlebensstrategien; bis zum nächsten Auftritt war nur eine halbe Stunde!
Ein anderer Teil fing an, die Buchstabenkombination über der Tür zu entwirren: BSK WC. Bis auf den heutigen Tag ist das Rätsel dieser simpel scheinenden Kombination ungelöst. Eine kleine Gruppe machte sich daran, die Tür selber zu bearbeiten. Mit Hilfe eines Arsenals an Kreditkarten, Personalausweisen und purer Gewalt sollte die Tür gezwungen werden, ihr Innerstes preiszugeben. Verschwörungstheorien kursierten.
Die Tür blieb letztlich Sieger über alle Bemühungen. Schon war es Zeit, die Bühne wieder aufzusuchen. Geprägt von den Eindrücken dieser Halbzeitpause waren unsere Sinne nur geschärfter und die Lieder wurden noch präziser gesungen. Der Festredner rief uns zurück in die Wirklichkeit und wir erfuhren, dass immer noch der 12. Mai 2012 sei, wir einer Jugendweihe beiwohnten, nun mit der Klasse 8f und die Stadt weiterhin Rostock sei. Die zweite Weihe verlief wie die erste, das Schlusslied war weiterhin Oh happy day und nicht Always look on the bright side of life. Und tatsächlich, zurück im Treppenaufgang wartete die frohe Nachricht auf uns. Der Hausmeister war angerufen worden, der Ersatzschlüssel vor Ort und der Weg zu unserem Lager frei.
Welche Mythen und Geschichten noch aus diesem denkwürdigen Samstag, dem 12. Mai 2012 entstehen, welche Wahrheiten noch ans Tageslicht kommen, wird die Zukunft zeigen. Mir war es ein tolles Erlebnis, weiteren Auftritten sehe ich mit Freude entgegen.