(un)freiwillige Chorfahrtverlängerung

Ich hatte mich schon darauf eingestellt, die Busfahrt stehend zu erleben. Orest schaute sehnsüchtig von der anderen Seite der Scheibe zu uns hinein und weil ich vorher gar nichts und dann plötzlich wirklich mitbekam, dass die kleine Gruppe, die neben dem Bus stand, nicht mit den Autos, die dort auch standen, nach Hause fahren sondern auf einen zweiten Bus warten würde, entschied ich mich dazu, selbiges zu tun. Das ist schon komisch, wenn nicht alle zusammen nach einem tollen Wochenende nach Hause fahren, aber es kann auch nicht verkehrt sein, diese Zeit in kleiner Gemeinschaft noch ein wenig zu verlängern. Wir wählten die Wiese und Sonne. Auf Decken. Das war ungemein gemütlich und sehr schnell ganz lustig. Wir hatten Bonbons und Küchlein und als André und der Chef von ihrem kleinen Einkaufsbummel zurück waren auch Brause. Und Wein. Ich hatte noch Wein und dafür war nun der richtige Zeitpunkt. Die schon zur Tradition gewordene Bravo hatte André auch besorgt; nie habe ich mich so alt gefühlt. Dabei habe ich nicht mal selbst darin geblättert. Die vorgelesenen Starnamen und Fragen an das Dr. Sommer Team haben das ganz von allein geregelt. Die Zeit verging, wir wechselten hin und wieder in den Schatten, und nichts tat sich. Ulle hatte sich nach der ersten Buskatastrophe ein bisschen beruhigt, wurde nach guten anderthalb Stunden aber erneut aufgeregt. Wir hatten eine Stunde eingeplant – mit ebendieser zeitlichen Einschätzung hatte der nette Mann im ersten Gefährt uns schließlich zurückgelassen. Jemand rief also die Busgesellschaft an und erreichte dort niemanden. Wieder jemand anderes ergründete mit Smartphone im Internet mögliche Zugverbindungen. Die Herbergsmami, die uns ein letztes Mal nett verabschiedete, steuerte die Nummer der Taxizentrale bei. Wir wären ja auch noch einen Abend lang geblieben, hätten nicht die meisten von uns den Wunsch geäußert, bis 18 Uhr ihr Recht auf Wahlen in Anspruch zu nehmen.

Unser Bus kam eine halbe Stunde später. Der Fahrer war der gleiche wie am Freitag nur in schick. Er kam aus Hamburg und einer Menge Staus und war dennoch prächtig gelaunt. Wir waren müde. Von der Sonne, vom Wochenende. Wir verkrümelten uns ganz ans Ende des Busses, sprachen über mögliche Wahlentscheidungen und Wahrscheinlichkeiten, diese hinsichtlich der fortgeschrittenen Zeit noch treffen zu können. Ich rutschte irgendwie zwischen meinen Sitz und die Lehne des Vordermanns und Orest grinste frech in ein Selfie von meinem Sitznachbarn. Halb sechs waren wir am Hauptbahnhof. Wir verabschiedeten uns schnell und waren gespannt, ob wir selbst und alle anderen es noch rechtzeitig in die Wahllokale schaffen würden. Ich hatte Glück, hatte doch eine Freundin gerade am Vormittag mein Rad zurück vor die Tür gestellt. Als ich also 17:50 nach einem Sprint in die vierte Etage meines Wohnhauses sowohl meinen Personalausweis finden als auch den Standort des Wahllokals ermitteln konnte, schwang ich mich aufs Rad und erreichte meine Wirkstätte 17:59. Die hatten dort eine Arschruhe weg, ich war ziemlich alle. Und froh, dass ich mir vorher überlegt hatte, wo ich meine Kreuze setzen wollte. Anderenfalls hätte ich es wohl ob meiner Erschöpfung und Sonnenmüdigkeit nicht mehr gut überlegen können. Ich war zehn nach sechs zu Hause, konnte das Millakind ins Bett bringen und bei einem weiteren Wein und noch ein paar netten Gesichtern eine halbe Stunde später dieses wahnsinnig schöne Wochenende ausklingen lassen. Ein Hoch auf unseren Busfahrer.

 


Adieu, Judith.

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